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2 Wochen Ukraine zu Ostern

29. April 2024

Jede Gelegenheit mehr Zeit in der Ukraine zu verbringen und unsere europäische Politik auch direkt vor Ort wirken zu sehen, ergreife ich gerne. Wer mich kennt, ist daher auch nicht überrascht, dass dies meine 10. Reise in die Ukraine seit Februar 2022 war.

Auschussreise

Unsere Ausschussreise in die Ukraine mit insgesamt 7 Kolleg:innen aus dem Europäischen Parlament diente wie in der Vergangenheit dem intensiven Austausch mit den Kolleg:innen aus der Ukrainischen Rada wie auch dem Besuch von Regierungsvertreter:innen, dem Generalstaatsanwalt, Leiter des Nationalen Sicherheitsrats und verschiedenen Vertreter:innen der Zivilgesellschaft.

Als Schattenberichterstatterin für die Ukraine-Fazilität ging es auch in vielen Gesprächen um die genaue Ausgestaltung und die Auszahlungsbedingungen der Gelder

Auch wenn aktuell natürlich die militärische Unterstützung der Ukraine im Vordergrund steht (die explizit nicht aus der Ukraine-Fazilität bezahlt werden kann), müssen jetzt bereits die Weichen gestellt werden, um Transparenz und Integrität bei dem Wiederaufbau stets im Blick zu behalten.

Selbstverständlich ging es in unseren Treffen in Kyjiw vorwiegend um die extrem schwierige Situation an den diversen Frontabschnitten, um das Mobilisierungsgesetz und um die Fragen, wie wir als Abgeordnete noch großflächigere Hilfe in der EU für die Ukraine organisieren können. 

Der nächste Winter dürfte für die Menschen in der Ukraine nochmals härter werden als die letzten beiden Kriegswinter. Zum einen, weil die Energieinfrastrukturen durch die letzten sehr gezielten Angriffe großflächig zerstört wurde (ich gehe darauf in meinem Zaporishshja-Bericht noch näher drauf ein), zum anderen, weil die finanziellen und wirtschaftlichen Reserven der Menschen in Frontnähe weitestgehend aufgebraucht sind und viele ohne eine reguläre Beschäftigung nur sehr schwer überleben können.

Seit Beginn dieses Jahres wurde auch die Steuerzuteilung geändert:
Bislang flossen grosse der Einkommenssteuern (ähnlich wie auch in Deutschland) in die kommunalen Haushalte.
Das bedeutete insbesondere für Städte und Gemeinden in Frontnähe mit einem hohen Soldatenaufkommen einen einträglichen Beitrag für die kommunalen Haushalt.
So konnten auch für Zivilpersonen Transfers geleistet werden, die wiederum in diesen Städten und Gemeinden verblieben sind. Häufig sind dieses Ältere, Kranke und Personen, die wenige Alternativen haben. Mit der Steuerumleitung auf den nationalen Haushalt und der deutlich gekürzten Regionalförderung für wichtige Infrastrukturmaßnahmen sind viele Städte und Gemeinden nun kurzfristig vor weitere Herausforderungen gestellt. 

Diese und viele andere praktische Probleme, auch wie es um die Versorgung der Binnengeflüchteten steht, erfährt man oft nur, wenn man auch wirklich die Gespräche vor Ort sucht und etwas Zeit mitbringt.

Wichtig finde ich, dass die Sicherheitslage in Kyjiw – obwohl ja kurz nach unserer Ankunft eine Hyperschallrakete mit einer Geschwindigkeit von über 11.500 km/h auf die Stadt abgeschossen wurde.
D.h die Sirenen ertönten erst, als die Flugabwehr über Kyjiw ihre Arbeit bereits getan hatte, wir uns aber dennoch zu keiner Sekunde unsicher gefühlt haben.

Bis heute scheint die Flugabwehr für die Hauptstadt trotz aller anderslautenden Berichte exzellent zu funktionieren. Allerdings sind die Forderungen nach einer großflächigen Luftabwehr für alle anderen grossen Städte sowie deren kritische Infrastruktur sind mehr als gerechtfertigt.

Kyjiw & Zaporizhzhia zu Ostern

Kyjiw ist meine 2. Heimat, der Ort wo ich seit fast 30 Jahren durch die Straßen laufe und mich zuhause fühle.
So war es auch zu und nach Ostern, nachdem der AFET Ausschuss abgereist ist.
Nach ein paar Tagen alleine in der Stadt bin ich noch nach Zaporizhzhia gefahren.

“Geht doch selber an die Front!”


Den Kommentar bekomme ich wie z.B. auch Anton Hofreiter unter fast jedem Social Media Post zur Ukraine und Waffenlieferungen in die Ukraine.
Was die Trolls online oft ignorieren, wenn wir in der Ukraine sind, fahren wir ziemlich nah an die Front.
So bin auch ich letzte Woche nach Zaporizhzhia gefahren um mir nur 40km von der Front ein Bild zu machen und mit den Menschen vor Ort zu sprechen.
Man weiß wirklich nie was einen bei diesen Besuchen erwartet, fast immer bin ich überrascht und wie die Male zuvor bin ich mit noch mehr Staunen über die Ukrainerinnen wieder nach hause gefahren.
40 km von der Front harren hier die Menschen mitten in Zerstörung und Ruinen aus, aber sie geben nicht auf. Allen mit denen ich gesprochen habe ist klar, wenn sie gehen wird es diese Stadt nicht mehr geben.
Was ihr durch die Bilder natürlich nicht hören könnt, sind die andauernden Alarme und der Lärm den Beschusses der weit in die Stadt hereinreichen.

Team meeting in Kyjiw? Ja haben wir gemacht.

Zum Ende der Legislaturperiode war mir wichtig mit meinem Team noch einmal vor Ort in der Ukraine mit unseren Partnern in Kontakt zu treten. Jeden Tag arbeiten wir alle in Brüssel für die Ukrainer*innen aber für einige war es der erste Besuch im Land.
Es können noch so viele Zivilgesellschaftsorganisationen oder NGOs uns im sicheren Belgien besuchen, es ist absolut nicht das Gleiche wie wenn wir hier sind.

In Kyjiw haben wir die NGO Girls besucht, dessen Gründerin gerade den Anne Klein Preis der Heinrich Böll Stiftung bekommen hat.
Außerdem waren wir beim HALO Trust zu Besuch und haben nach einer Präsentation sogar ein Feld besucht auf dem gerade sehr wichtige, aktive Entminungsarbeiten stattfinden. Dazu bald noch mal mehr.

Mit unserer Anwesenheit, mit unserer Reise setzen wir Zeichen.

JA, hier ist es nicht so sicher wie Zuhause.
JA, wir gehen ein Risiko ein.
JA, auch wir haben die Luftalarme erlebt. 

Aber wir zeigen auch:

JA, wir stehen an eurer Seite, in Brüssel aber auch vor Ort.
Und NEIN, wir drücken uns nicht und wollen uns bei euch ein ungefiltertes Bild machen.

Barbarisch, brutal, endlos und rudimentär

– andere Worte habe ich eigentlich nicht wenn ich an die Zerstörung und die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen von Minen habe.

Viele von uns haben auch in Deutschland schon mal einen Alarm in der eigenen Stadt mitbekommen, wo ein Blindgänger vom 2. Weltkrieg geräumt oder gesprengt wurde. Das kann kurz beängstigend sein, aber für diese Einzelfälle natürlich ausgebildete Expert*innen im Einsatz.

Und das ist nichts im Vergleich zur Arbeit die der HALO Trust täglich überall auf der Welt leistet, so auch in der Ukraine.
In der Nähe von Kyiv habe ich mit meinem Team ein Feld besucht, wo gerade Entminungsarbeiten stattfanden und haben selber gesehen, wie Mensch, Maschine, Erfahrung und Expertise zusammenkommen. Wie wichtig ordentlich aufgebaute Teams sind und von den Arbeiter*innen selbst gehört wie anstrengend die Arbeit ist, sowohl physisch als auch mental.

Es zerbricht mir das Herz wenn ich daran denke, dass die Minen die hier von russischen Truppen eingesetzt wurden, nicht nur Zuhause und Landwirtschaft jetzt gerade zerstören, sondern auch für die kommenden Generationen.
Im November hat GLOBSEC geschätzt, dass bis zu 757 Jahre dauern könnte bis in der Ukraine alles wieder entmint ist.
Seit kurzen dürfen in der Ukraine auch Frauen an Entminungsarbeiten teilnehmen und nun sind fast 30% der Ukrainer*innen die für und mit dem HALO Trust arbeiten Frauen.
Um die Arbeit zu unterstützen empfängt HALO Gelder von vielen verschiedenen Gebern, so auch der Deutschen Regierung und dem Dienst für außenpolitische Instrumente der EU Kommission (FPI).

Mykolayiv & Odesa

Der 2 letzten Tage meiner 2 Wochen waren auch für mich noch mal etwas ganz neues.

Aus den Bildern der Nachrichten hatten wir ein bisschen geahnt welche Zerstörung uns in Mykolayiv und Odesa erwartet aber an beiden Orten war es wirklich beinahe gespenstisch.

Bei Nibulon in Mykolaiv waren die riesigen Hallen und Umladeplaetze komplett leer. Es war alles ruhig, obwohl hier sonst tonnenweise Getreide verlagert und in die ganze Welt verfrachtet wird. Da weint das Herz eines Getreidehädlers wirklich.

In Odesa habe ich Erinnerungen an einen trudelnden Strand, und eine lebendige Stadt am Schwarzen Meer. Jetzt fehlen hier die Menschen auf der Straße, die Musik in der Oper und die spielenden Kinder am Strand.

Aus Odesa sind aber nicht nur viele Menschen geflüchtet, sondern auch viele IDPs (Binnenflüchtlinge) untergekommen. 
So auch die Frauen aus Kharkiv, die uns bei unserem Besuch im Goncharenko centre erklärt haben wie sie vormittags Tarnnetze für die Ukrainische Armee knüpfen und Hilfspakete zusammenstellen, und nachmittags Sprachkurse und andere Aktivitäten für Jugendliche anbieten. Hier sieht man wie aus Work-Life-Balance wirklich eine Work-War-Balance wird.

2 Wochen Ukraine,

2 Wochen Kriegsgebiet und 2 Wochen konnte ich eine pünktliche Bahn genießen. Kaum wieder in Deutschland gelandet, beginnt das Elend in Deutschland, wie es vorher der Abfahrt aufgehört hat. Würde ich sagen, dass ich diese Zustände vermisst, würde ich lügen. Das heißt nicht, dass Leben in einem Kriegsgebiet vorzuziehen wäre, aber es sagt leider viel über den Zustand der deutschen Bahn aus.